«Yaroslav gibt nicht auf!»

Ukraine: Yaroslav Misiak sitzt seit 26 Jahren unschuldig in einem ukrainischen Gefängnis. Linus Pfister, der Geschäftsführer der HMK, kennt ihn schon lange persönlich. Im Februar konnte er Yaroslav im Gefängnis besuchen.

Linus, du warst im Februar in der Ukraine auf Besuch bei Yaroslav Misiak. Wie war der Besuch für dich?
«Dieser Besuch war mit viel Vorlauf verbunden. Anträge schon Monate im Voraus, zeitintensive Planung, und immer die Ungewissheit, ob es doch zustande kommt. In diesem Fall hat es geklappt und ich bin dankbar dafür. Wir konnten uns mit Yaroslav treffen und hatten auch mehr Zeit als gedacht zusammen. Mir wurde auch die Zelle gezeigt, in der er lebt. Für mich war das eindrücklich und hat mir noch einmal gezeigt, wie wichtig es ist, dass wir uns für Yaroslav engagieren.»

Wer ist Yaroslav und warum sitzt er im Gefängnis?
«Er war vor 30 Jahren ein Jugendpastor mit einer jungen Familie, der in der Ukraine nahe der Grenze zu Ungarn und zur Slowakei lebte. Die Ukraine war damals im Umbruch, denn die Sowjetunion war zusammengebrochen und man hatte nun einen eigenständigen Staat. In dieser Zeit wurden Verwandte von Yaroslav brutal ermordet. Man nahm ihn fest und verurteilte ihn als Dreifach-Mörder, obwohl es dafür nur fragwürdige Beweise gab. Einer der Ermordeten war ein Drogenkurier. Die Vermutung liegt nahe, dass eine kriminelle Gruppe für die Manipulation der Daten gesorgt hat. Leider ist es nach ukrainischem Gesetz so, dass Mehrfachmörder bis zu ihrem Tod im Gefängnis bleiben müssen. Deshalb ist Yaroslav seit 26 Jahren im Gefängnis. Er steht immer noch zu seiner Unschuld, auch nach all diesen Jahren.»

Weshalb setzt sich die HMK für ihn ein?
«Als Yaroslav damals verhaftet wurde, wandte sich seine Kirche von ihm ab und exkommunizierte ihn. Seine Frau, die ebenfalls an seine Unschuld glaubte, war in einer sehr schwierigen Situation und wurde von ihrem Umfeld dafür verachtet. In dieser Zeit wurden wir auf ihn aufmerksam und seitdem setzen wir uns gemeinsam mit anderen Organisationen für ihn ein.

Als Team in der Schweiz beten wir seit 26 Jahren regelmässig für ihn und seine Familie – ebenso wie viele andere Christen in der deutsch- und französischsprachigen Schweiz. Ich bin immer wieder überrascht, denn sonst habe ich noch nie eine solche Verbundenheit erlebt. Immer wieder fragen Menschen bei uns nach, wie es Yaroslav geht, auch wenn wir fünf Jahre lang nicht mehr über ihn berichtet haben. Wir geben nicht auf, weil die Ungerechtigkeit in Yaroslavs Leben einfach so gross ist.»

Gibt es denn eine Hoffnung, dass Yaroslav jemals das Gefängnis verlassen kann?
«Er selbst glaubt fest daran und gibt diese Hoffnung nicht auf – ich auch nicht, deshalb engagiere ich mich weiter politisch dafür. Doch die Realität ist deprimierend. Die Ukraine hat ein marodes Justizsystem, in dem Fehlurteile nicht existieren und somit nicht berichtigt werden können. Alle Bemühungen, das System zu reformieren, sind in der Kriegszeit zum Stillstand gekommen. Eine wichtige Sitzung, um Yaroslavs Fall neu aufzurollen, wurde unterbrochen: Denn genau an dem Tag wurde die Ukraine von Russland angegriffen. Es ist wirklich zum Verrücktwerden, dass so viele unglückliche Faktoren dazu führen, dass Yaroslav und etwa 35 weitere Unschuldige in der Ukraine im Gefängnis bleiben.»

Wie wirkte Yaroslav auf dich?
«Er wirkte erstaunlich agil und lebensfroh auf mich. Auch nach all den Jahren hat er die Hoffnung nicht aufgegeben, aus dem Gefängnis zu kommen. Ich staune wirklich darüber, und auch darüber, dass seine Frau ihn nie aufgegeben hat. Vor Ort berichteten die anderen Gefangenen, dass sie alle geschieden sind. Bei Yaroslav ist das anders – seine Frau hält auch nach 26 Jahren Haft zu ihm und ist ihm eine treue Partnerin. Ich denke, das gibt ihm viel Rückhalt.»

Wie lebt Yaroslav im Gefängnis?
« Heute ist seine Situation angenehmer als noch vor zehn Jahren: Seine Familie kann ihn einmal monatlich besuchen, in gewissen Abständen auch mehrere Tage lang. Doch das Gebäude ist von 1926 und ist dunkel und modrig, vor allem in den Gefängniszellen, die noch nie renoviert wurden. Yaroslav lebt mit sieben weiteren Gefangenen in einem Raum. Sie halten sich dort den ganzen Tag gemeinsam auf. Ich hatte den Eindruck, dass er von den anderen als Vaterfigur wahrgenommen wird – mittlerweile ist er ja auch selbst Grossvater eines kleinen Enkelkindes.»

Was hältst du da in deiner Hand?
«Yaroslav gab mir bei meinem Besuch ein Geschenk – ein Miniaturschiff in einer Flasche, das er selbst gefertigt hat. Im Gefängnis hat man bekanntlich mehr Zeit, und die nutzt er unter anderem zum Basteln. Ich finde das Miniaturschiff sehr kunstvoll und fühle mich geehrt. Er kann nicht viel geben, aber das hat er mir geschenkt. Ich werde es in meinem Büro aufstellen und jedes Mal, wenn ich es anschaue, an Yaroslav denken.»

Danke für das Gespräch!